Reinhardt Graetz

Inhalt

Glauben & Wissen

 

Vorweg


Glauben erzeugt Vorstellungen. Wissen beruht auf Tatsachen.


Vorstellungen erzeugen Meinungen. Daher gibt es auch so viele Glaubensrichtungen: über viele Dinge existieren noch mehr unterschiedliche, subjektive Meinungen, Annahmen und Vermutungen - ersatzweise für fehlendes Wissen.

Wissen dagegen ist zuverlässig, weil es auf beweisfähigen Tatsachen beruht. 

Auf dieser zuverlässigen Grundlage beschleunigt sich daher der wissenschaftlich-technische Fortschritt immer mehr. Im Gegensatz dazu kommt der kulturell-soziale Fortschritt kaum von der Stelle. Das könnte sich vielleicht ändern, wenn auch er auf die gleichen zuverlässigen Grundlagen gestellt würde. Aber der ist vermutlich so stark an die Geschwindigkeit der biologischen Evolution gebunden, dass da vorerst keine schnellen Änderungen zu erwarten sind. 


Ursprünge
In grauer Vorzeit eigneten sich die Menschen ihr Moralbewusstsein an (was ist gut/böse - gut/schlecht?). Damit schufen sie sich eine neuartige und umfassende Bewertungsgrundlage für viele Dinge und Vorgänge. Als Folge davon fielen ihnen elementare Unzulänglichkeiten auf - und so entstand weiter das Motiv, sie zu beseitigen und damit der Wunsch, die Welt und das Leben verbessern zu wollen.
Für ihre Mitmenschen erfanden sie eine Eselsbrücke, um ihnen den abstrakten Begriff "gut" verständlich zu machen - sie personifizierten ihn und nannten ihn "Gott" (=das/der Gute). Diese frühe Über-Gutmenschenfigur hat als feste Glaubensvorstellung in allen Religionen bis heute überlebt.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse über elementare Unzulänglichkeiten:
"Ich weiß, dass ich nichts weiß." (Sokrates/Cicero) Im Bestreben, die vielen Rätsel zu lösen, welche sie umtrieben, nahmen die Menschen voreiligerweise erst mal alles Mögliche an; das Phänomen Glaube war geboren - die Annahme, dass diese und jene Dinge so oder so waren, sein oder werden würden, wie es sich die Menschen gerade so vorstellten. Ohne sie zu beweisen. Der Glaube war zuerst ein Erklärungsversuch für viele unverständlich erscheinende Dinge.

Somit signalisiert jeder, der irgendetwas glaubt: Ich weiß es nicht.
Ersatzweise stützt er/sie sich auf eigene wie fremde Vermutungen, Irrtümer und Ungewissheiten: Glauben fängt dort an, wo Wissen aufhört.
Eine Binsenweisheit: ich kann glauben, diese oder jene Dinge würden existieren oder nicht existieren; aber - dadurch werden sie weder erzeugt noch beseitigt. Für das, was tatsächlich existiert, hat mein Glauben keinerlei Bedeutung oder gar irgendeinen Einfluss.

Glaubensfreiheit
In unserem Land ist Glaubensfreiheit garantiert. Das war nicht immer so. Sie musste in Jahrhunderten gegen den zähen Widerstand des Klerus durchgesetzt werden.
Dabei geht es immer um die Fragen:
Glauben wollen - oder sollen-?
Nicht glauben wollen - oder sollen-? 
Allgemein: Glaubensfreiheit wofür und wovon-?

Glauben erzeugt oder beseitigt lediglich menschliche Vorstellungen, nicht aber real existierende Dinge.

Glauben findet ausschließlich im Kopf statt. Manche sagen auch: "im Herzen" und/oder "in der Seele" und reden von "innerer Gewissheit". 
Weil bis heute viele Gläubige versuchen, ihre subjektiven Meinungen als allgemeingültige Tatsachen zu verbreiten, gibt es so viele Glaubensrichtungen.
Die haben mit Tatsachen wenig oder gar nichts zu tun, sondern viel mit menschlichen Phantasien. Auf die Dauer haben Meinungen gegen Tatsachen allerdings keinen Bestand.

Tatsachen hingegen sind - im Gegensatz zu Glaubensvorstellungen - immer beweisfähig. 

Tatsachen sind wahr und daher zuverlässig. Weil sich nun die Wissenschaft von Anfang an auf die Zuverlässigkeit von Tatsachen gründet, hat sich ihre Entwicklungsgeschwindigkeit immer mehr beschleunigt - im Gegensatz zu den fatalen Folgeerscheinungen des Glaubens.

Die sozial-kulturelle Enwicklung dagegen ist bisher von allerlei Glaubenssätzen und deren säkularen Schwestern, den Ideologien geprägt - und tritt daher seit Jahrtausenden zwangsläufig nahezu auf der Stelle. Dadurch entstehen gerade in der Neuzeit immer mehr gesellschaftliche Spannungen.

http://reinhardt-graetz.de/index.php/aphorismen/gedankensplitter?showall=&start=14

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Der Zweifel ist der Beginn der Wissenschaft. Wer nichts anzweifelt, prüft nichts. Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts entdeckt, ist blind und bleibt blind.
Teilhard de Chardin

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Glauben = "ich weiß es nicht"
Wenn ich etwas nicht weiß, ist es ziemlich riskant, ersatzweise irgendetwas ungeprüft anzunehmen/zu vermuten - eben zu glauben; so mancher, der glaubte, er hätte die Vorfahrt, kann seinen Irrtum nicht mehr korrigieren...
Oder was würden Sie von Ihrem Arzt halten, der Ihnen - ohne vorherige Untersuchung - freundlich lächelnd ins Gesicht sagen würde: ich glaube, Sie haben Krebs...!? Ebenso von einem Statiker, der sagen würde: ich glaube, die Konstruktion wird schon halten - und auf die statische Berechnung einfach verzichtete?

Das gilt genauso für die großen Fragen des Lebens:
Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Wozu sind wir auf der Welt? Was ist wirklich? Was können wir tun?

Diese Fragen können wir ernsthaft nicht mit irgendwelchen Annahmen/Vermutungen/Glaubensvorstellungen beantworten wollen - unabhängig davon, dass wir zunächst versuchen, uns eine Meinung über mögliche Antworten darauf zu bilden. So wird der Glaube am Ende selbst zum Problem, obwohl er doch ursprünglich als Problemlösung gedacht war. Glauben hilft uns da nicht weiter.

Glauben
- liefert keine Erkenntnisse
- kann beliebig viele Irrtümer enthalten
- ändert nichts an den Tatsachen oder am Lauf der Welt
- beruht häufig auf fremden Suggestionen
- Einzelner oder von Gruppen kann keine Allgemeingültigkeit beanspruchen

Erst solides Wissen bringt uns Aufklärung und Gewissheit. Sobald wir darüber verfügen, wird der bisherige Glaube überflüssig.
Damit haben wir die Welt des Glaubens - wohl oder übel - verlassen.

Unvereinbare Gegensätze
In der Zusammenschau erscheinen Glauben und Wissen - durchaus zu Recht - als unüberbrückbare Gegensätze, wie Feuer und Wasser. Menschliche Vorstellungen vs. objektive Tatsachen.
Ist es vor diesem Hintergrund vorstellbar, dass es zwischen beiden Kategorien - trotz aller weiterhin bestehenden Gegensätze - ein Bindeglied gibt, das beides in einen größeren Zusammenhang stellt-?
Dazu sollten wir bestimmte Glaubensphänomene genauer unter die Lupe nehmen.

Wenn wir Erkenntnisse darüber erlangen wollen, was war oder was ist, erweist sich Glauben als untauglich.

Glauben als Zuversicht
Sinnvoll wäre Glauben also nur als Zuversicht: es wird so werden, wie ich es mir vorstelle - und wenn ich daran arbeite, dass dem Glauben Werke folgen, ohne die er bekanntlich tot ist. Ich folge meiner Überzeugung und lass ihr konkrete Taten folgen: am Ende wird es besser sein als jetzt - ich bin "meines Glückes Schmied". Aber auch dann bin ich vor Irrtümern nicht sicher. Beurteilen kann ich das erst, wenn das Ergebnis meiner Arbeit vorliegt - und ich es mit meiner ursprünglichen Zielsetzung vergleiche.

Glauben als Autosuggestion - Homöopathie
ist ähnlich geartet; hier wirken meine Vorstellungen entweder direkt auf bestimmte Körperpartien oder auf mein Unterbewusstsein, die darauf sofort reagieren. Das hat zur Folge, dass ich einem "vorgefilterten" Verhaltens- und Denkmuster folge, und dann eher zielkonforme Dinge verfolge und gegenteilige sein lasse. Die Ergebnisse können mitunter recht verblüffend ausfallen. Als Beispiel für die Wirksamkeit von Autosuggestion kann inzwischen die Homöopathie dienen - sie arbeitet seit jeher mit Placebos (wirkstofffreie Globuli), die als "Konzentrationspunkte" für autosuggestive Heilprozesse benutzt werden. Umgekehrt gibt es auch einen "Nocebo"-Effekt, der ebenso auf Autosuggestion beruht und die Wirkungen herkömmlicher Präparate blockieren kann.
Lesen Sie hierzu einen Praxisbericht von einer ehemaligen Homöopathie-Verfechterin
(klicken Sie auf das Buch für nähere Informationen):
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Nathalie Grams
Homöopathie neu gedacht




Homöopathie ist angewandte Autosuggestion
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Eckart von Hirschhausen
Wunder wirken Wunder












Hochschul- wie Alternativmedizin arbeiten mit Hokuspokus
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Gebete

So betrachtet, löst auch jedes Gebet eine Autosuggestion aus: die Konzentration auf bestimmte Vorstellungsinhalte bewirkt über das Unterbewusstsein Verhaltens- Einstellungs- und Wahrnehmungsveränderungen, die sich die Menschen auf Dauer aneignen und verinnerlichen.
Für manche Gläubigen beispielsweise festigt sich dadurch dauerhaft die Überzeugung, dass über ihnen ein "Herr" (ersatzweise einer dessen Stellvertreter) herrsche, dessen Wille stets geschehen soll, und dem sie stets zu gehorchen haben: "Dein Wille geschehe!" heißt es bekanntlich in dem Rosenkranz-Klassiker. So wurde den gläubigen Schäflein jahrhundertelang eine Untertanenhaltung antrainiert.
Mit Auto- wie Fremdsuggestion arbeiten Schamanen, Magier und Artisten schon seit grauen Vorzeiten, bis heute mit teilweise verblüffenden Ergebnissen.
Das Ganze funktioniert ähnlich wie bei einer proaktiven Verfolgung meiner Ziele. Generell aber ist die Reichweite der Autosuggestion nicht unbegrenzt.

Glauben als Fremdsuggestion - Hypnose, Telepathie
sind uns schon seit längerem geläufig. Hypnose wirkt ähnlich wie die Autosuggestion über das Unterbewusstsein, wobei das Oberbewusstsein durch den Hypnotiseur ausgeschaltet wird. Wie sie genau funktioniert, ist noch nicht genau erforscht; eines Tages werden uns Hirnforscher und Neurologen mehr darüber berichten. Seriöse Hypnoseverfahren werden vielfach im medizinischen Bereich angewendet. Ohne die Akzeptanz des Hypnotisierten funktioniert dieses Verfahren jedoch nicht.

Glauben als Auto- und Fremdsuggestion
Vermutlich wird wohl durch jede Autosuggestion immer auch ein Stückweit eine Fremdsuggestion ausgelöst, sozusagen als deren nach außen wirkende Komponente. Grundsätzlich ist offenbar jeder Mensch zu beidem fähig - sonst gäbe es keine Hypnotiseure mitsamt ihrem Verfahren. Die meisten sind in diesen Disziplinen jedoch weitgehend ungeübt, und es fehlen derzeit noch mehr gesicherte Erkenntnisse darüber. Experimente mit dem Phänomen Telepathie fallen ebenso in diesen Bereich. Sie fände mit dem Begriff "Fremdsuggestion" eine naheliegende Erklärungsgrundlage.

In welcher Weise sowohl Auto- als auch Fremdsuggestion bei kollektiver Ausübung wirken, ist bisher weitgehend unbeachtet geblieben, von einzelnen kollektiven Phänomenen abgesehen. Dazu fallen einem Berichte über Massenhysterie bei Pop-Veranstaltungen, Auftritten von politischen Gruppen oder Sekten ein, die sogar kollektiven Selbstmord hinbekommen haben.

Manche Wissenschaftler vertreten die Meinung, dass das Phänomen Glauben im Menschen als anthropologische Fähigkeit angelegt sei.
Sie haben sicher Recht, wenn man den Begriff "Glauben" ersetzt durch den präziseren Begriff "Auto- und Fremdsuggestion". Zu beidem sind Menschen grundsätzlich in der Lage, wenngleich viele Details dazu noch ungeklärt sind. Vermutlich ist deren Stellenwert tatsächlich viel höher als bisher allgemein wahrgenommen wird.
So bietet eine Schweizer Firma spezielle Kurse an zum Training zur "autodynamischen Bewusstseinslenkung", andere Firmen Kurse für "NLP", autogenes Training oder auch spezielle Yogakurse an.
In der Medizin gibt es inzwischen Fachbereiche zur Behandlung von psychosomatischen Störungen. Das setzt voraus, dass diese Störungen zuvor erzeugt worden sein müssen, die ihrerseits wiederum durch Auto- oder Fremdsuggestion ausgelöst wurden.
Gläubige aller Religionen praktizieren tatsächlich auch nichts anderes. Sie haben sich sowohl vorgegebene Glaubensinhalte (Dogmen) wie auch bestimmte Verhaltensweisen ebenso per Autosuggestion angeeignet. Als Ergebnis dieses Prozesses nehmen sie zuletzt ihre Glaubensinhalte felsenfest als Tatsachen wahr und nicht als Ergebnis eines Suggestionsprozesses - "alternative Fakten" werden so in klassischer Weise in der Vorstellungswelt der Gläubigen verankert.

Was die Alten wussten
Im Katechismus von Martin Luther gibt es eine Erläuterung zum 2. Gebot der 10 Gebote des Christentums:
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Das Zweite Gebot

Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht unnütz gebrauchen; denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen mißbraucht.

Was ist das?

Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir bei seinem Namen nicht fluchen, schwören, zaubern, lügen oder trügen, sondern ihn in allen Nöten anrufen, beten, loben und danken.

aus "Luthers Kleiner Katechismus" - EKD
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Was auf den ersten Blick wie ein mittelalterlicher Hokuspokus anmutet - fluchen, schwören, zaubern, lügen oder trügen - erweist sich bei näherem Hinsehen als böse Varianten von Fremdsuggestion. In unsere heutige Sprache übersetzt, könnte dieser Text so formuliert werden:

>Vermeide es, auf bösartige Weise durch Fremdsuggestion deine Mitmenschen zu beeinflussen!  Deren Folgen werden dich früher oder später selber treffen.<


Glauben und Politik
Und so verstehen wir auch den zähen Kampf von allerlei Herrschaftskasten um ihr Deutungshoheits-Monopol, wofür sie jahrtausendelang das Vehikel "Glauben" benutzten. Für den Glauben - die Gehirnwäsche - sind dann die Kleriker zuständig.
Die säkulare Variante dazu: Politische Propagandisten und Ideologen aller Couleur - sie spielen als Gehirnwäscher auf diesem Klavier schon lange, und sie erzeugen so immer wieder ihre Pseudofakten, auch "alternative Fakten" genannt...

So ergibt sich als vorläufige Bilanz:
Glauben ist - und wirkt in der Praxis - seit jeher als Auto- wie auch als Fremdsuggestion.

Und so haben wir das gesuchte Bindeglied gefunden, welches Glauben und Wissen in einen sinnvollen, naturwissenschaftlich begründeten Zusammenhang stellt.

Theisten und Atheisten
Theisten glauben, es gäbe einen Gott.
Atheisten glauben nicht; weder, dass es einen Gott, noch, dass es keinen gäbe. Sie glauben überhaupt nicht. 
Dadurch unterscheiden sich beide Gruppen fundamental voneinander.
Aber: beide Gruppen können nur auf ein gleichermaßen begrenztes Wissen zurückgreifen.

Die manchmal verbreitete Behauptung, "Atheisten glauben auch nur, dass es keinen Gott gibt", kann daher gar nicht zutreffen - weil Atheisten eben nicht glauben. Tatsächlich kann man aufgrund von Annahmen/Glauben keine Entscheidung darüber treffen, ob etwas zutrifft oder nicht, also richtig oder falsch ist.

Tradierung von Glauben über die Jahrhunderte
Die Religionsgemeinschaften haben uns jahrhundertelang hauptsächlich ihre Glaubensvorstellungen - und damit kein Wissen weitergegeben. Ausnahmen bestätigen hier die Regel. So sind unter der Ägide der Kleriker die vergangenen Jahrhunderte ohne nennenswerten Wissenzuwachs verflossen. Erwerb und Verbreitung von Wissen war den Klerikern eher suspekt - ihre Befürchtung war und ist: Wissen könnte der Glaubensgemeinschaft schaden, ihr das Deutungsmonopol streitig machen, oder ihr ganz und gar die Geschäftsgrundlage entziehen. Daher haben sie Wissen nur in kleinen internen Zirkeln weitergegeben.
Das hat sich erst geändert mit der frz. Revolution, dem Beginn der Aufklärung und der späteren Industrialisierung. Seither ist die Wissenschaft allgemein auf dem Vormarsch und in alle Lebensbereiche vorgedrungen. Durch wissenschaftliche Erkenntnisse wurde so mancher Glaubenssatz ad absurdum geführt. Zwangsläufig mussten die Kleriker zähneknirschend so manche ihrer früheren Glaubensvorgaben über Bord werfen und offenkundig richtige Erkenntnisse akzeptieren:
Die Erde ist keine Scheibe, und sie steht auch nicht im Mittelpunkt des Universums; der Mensch entstand nicht durch Anhauchen eines vorgeformten Lehmklumpens, und stammt auch nicht von nur einem einzigen Elternpaar ab, welches extra zu diesem Zweck "erschaffen" wurde...

Die Philosophen 
befinden sich in einer ähnlichen Lage - sie fühlen sich bis heute nicht gehalten, ihre Postulate zu überprüfen. Und daher gibt es auch immer wieder andere Meinungen von ihnen zu den gleichen Fragen; ihrer Kreativität sind dadurch auch keine Grenzen gesetzt, das ist durchaus kein Defizit. Andererseits wäre es für sie durchaus von Vorteil, wenn sie mal einen Blick über die Schulter würfen zu ihren Kollegen von der "Königin der Geisteswissenschaften", der Mathematik. Bei denen gehört eine akkurate Beweisführung ihrer Postulate von altersher zum "Hand"werk - es ist quasi ihre Geschäftsgrundlage. Was bei ihnen geht, sollte das nicht auch bei den Philosophen möglich sein? Vielleicht würden sie dadurch vor so manchen Irrtümern bewahrt.

Wissen

heißt, Annahmen/Hypothesen (=der vorläufige "Glaube" der Wissenschaftler) zu überprüfen; sie werden dadurch bestätigt oder widerlegt: nunmehr verfügt man über Beweise. Sie sind ein Abgleich unserer Vorstellungen mit der Wirklichkeit, soweit sie uns zugänglich ist. Deswegen ist schon wenig zu wissen mehr wert, als viel zu glauben.
Wenn ich keine Uhr bei mir habe und nicht weiß, wie spät es ist, kann ich die richtige Uhrzeit nicht durch Vermutungen ermitteln - ich erfahre die richtige Uhrzeit erst, wenn ich auf eine Uhr sehen kann, die richtig geht - eine Binsenweisheit. Glauben kann also immer nur den Charakter des Vorläufigen haben - und er führt daher häufig in die Irre, weil sich Menschen nun mal in ihren Annahmen irren können.

Glaubensfreiheit - Theorie und Praxis
Die Menschen mögen ja vieles glauben, wenn der Tag lang ist - das ist ihr gutes Recht. In unserem Land sind Glaubens- und Religionsfreiheit garantiert. Jeder kann glauben, was er will, muss andererseits aber auch nicht glauben, was er nicht will.

Glaubensfreiheit - doppeldeutig
Generell existiert
1. die Freiheit zum Glauben
2. die Freiheit vom Glauben

Glaubensfreiheit - und die Glaubensgemeinschaften
Tatsächlich sind aber in der Praxis die Verhältnisse nicht so, wie sie der Gesetzgeber unterstellt hat: Man ist de facto nur so lange in der Wahl seines Glaubens frei, wie man nicht Mitglied einer Glaubensgemeinschaft geworden ist. Danach bekommt man vorgeschrieben, was man zu glauben hat und was nicht - Glaubensfreiheit ade! Dann hat man die von der Glaubensgemeinschaft vorgegebenen Dogmen gehorsam zu akzeptieren. Der oberste Glaubenshüter Gerhard L. Müller, Chef der vatikanischen "Glaubenskongregation", wie die vormalige Inquisition heute genannt wird, bemerkte 2012 dazu:

"Die Freiheit der Kinder Gottes ist die Vollendung des Glaubensgehorsams gegenüber Gott."
Freiheit = Gehorsam. Das klingt so ähnlich wie Orwellscher Neusprech.

Dies gilt gleichermaßen für alle anderen Glaubensgemeinschaften.

Glaubensfreiheit ist de facto nur als Freiheit vom Glauben möglich, also dann, wenn man gar keiner Glaubensgemeinschaft angehört und/oder keine ihrer Glaubensvorgaben teilt.

Was sie früher glaubten
In der Antike glaubten die Menschen beispielsweise, die Erde sei eine flache Scheibe und würde von einer Elefantenherde auf deren Rücken getragen. Später glaubten sie, es gäbe einen Äther, oder auch, es gäbe Unglück, wenn ihnen zufällig eine schwarze Katze über den Weg liefe. Oder die Sterne/der Mond hätte einen Einfluss auf das menschliche Weltgeschehen, oder auch, die Menschen stürben nicht wirklich, sondern würden in veränderter Gestalt nach einer angemessenen Frist wieder auf der Erde erscheinen - hauptsächlich, um ihre alten Sünden abzuarbeiten. Oder sie glaubten an Zeus, Jupiter, Shiva, den großen Manitou, ...
Derartige Annahmen konnten ihnen darüber, was tatsächlich war, ist oder sein wird, keinen Aufschluss bringen. Das, woran sie glaubten, wurde ja dadurch nicht erzeugt oder beseitigt - und das ist bis heute so geblieben.
Die Zeit ging darüber hin. An all' diese Dinge glaubt heute niemand mehr.

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Piusbrüder: (Fast) alle Religionen sind falsch!
Ausgerechnet die erzkatholischen, ultrakonservativen Piusbrüder sehen das so, mit bemerkenswerter Klarheit - das war nachzulesen auf ihrer früheren offiziellen website. Leider haben sie diesen ihren Text inzwischen gelöscht:

>>Die Religionen widersprechen sich:
[Wenn] eine der Religionen stimmt, dann sind gleichzeitig die anderen falsch.

Oder: Alle Religionen sind falsch und es gibt überhaupt keine wahre Religion.
Jede andere Aussage ist in sich unlogisch.<<

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Verblüffend: damit sind die wackeren Piusbrüder ganz nahe an der Wahrheit. Sie halten zwar bis heute ihre eigene Religion für die "einzig wahre" - aber:

Wahrer Glauben/wahre Religion: ein Unding!
Eine "wahre Religion" (oder eine falsche) kann es genausowenig geben wie einen "wahren" oder "falschen" Glauben: jede Religion ist ja eine Glaubens-Konstruktion.

"Wahrer Glauben" ist daher ein Widerspruch in sich selbst: Glaubensinhalte können weder wahr noch falsch sein, weil sie immer auf subjektiven Meinungen, also auf unüberprüfbar bleiben sollenden Annahmen/Vermutungen und daraus abgeleiteten Glaubenspostulaten/Dogmen beruhen.

Einen "wahren Glauben" gibt es daher ebensowenig wie einen "falschen
". Wenn Ihnen also jemand etwas als einen "wahren Glauben" verkaufen will, können Sie sicher sein, dass Ihnen eine Mogelpackung angeboten wird.

Siehe hierzu auch das Kapitel >Gott und die Welt >>Vom "wahren" Glauben
http://reinhardt-graetz.de/index.php/aphorismen/gott-und-die-welt?showall=&start=4

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Die Glaubensvertreter sahen eine lange Zeit in der Wissenschaft eine potentielle Gefahr: sie fürchteten zu Recht, ihr bisheriges Deutungsmonopol zu verlieren - und damit ihre unumschränkte Macht. Wir erleben derzeit deren zähes Rückzugsgefecht. Selbst päpstliche Enzykliken (s. u.) können diese Entwicklung nicht mehr aufhalten.

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Kirche und Wissenschaft
Wer sagt, die menschlichen Wissenschaften müssten mit solcher Freiheit behandelt werden, dass ihre Behauptungen als wahr festgehalten und von der Kirche nicht verworfen werden könnten, auch wenn sie der geoffenbarten Lehre widersprächen, der sei ausgeschlossen.

Vatikanische 1. Kirchenversammlung, 3. Sitzung 1870 - Lehrsätze über die religiöse Erkenntnis

Dass die Wissenschaften "Behauptungen" verbreiten, beruht entweder auf Unkenntnis oder ist eine gezielte Desinformation. Bei gesichertem Wissen handelt es sich nicht um irgendwelche Behauptungen, sondern um bewiesene Fakten und Zusammenhänge.

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Vom Relativismus des Glaubens

Einen klaren christlichen Glauben zu haben gemäß dem Credo der Kirche wird häufig als Fundamentalismus etikettiert.
Dabei scheint der Relativismus, d.h. das Sich-Treiben-Lassen hierhin und dorthin von jedwedem Wind der Lehre, als die einzige Haltung auf der Höhe der Zeit. Es bildet sich eine Diktatur des Relativismus heraus, die nichts als definitiv anerkennt und die als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Wünsche gelten lässt.
Papst Benedikt XVI, im Petersdom vor seiner Wahl, April 2005

Zu der vom Papst Benedikt XVI so beklagten "Diktatur des Relativismus" gelangt man indes genau durch jedweden Wind irgendeiner Glaubenslehre; die so beklagte willkürliche Beliebigkeit liegt allen Glaubenslehren der Welt zugrunde - die katholische Glaubenslehre mit ihren Dogmen eingeschlossen.
Alle Glaubenslehren sind ja irgendwann von irgendeiner Priesterkaste entwickelt und für ihre Glaubensgemeinschaft verkündet worden - mitsamt ihren Irrtümern und Irrationalismen.

Dagegen kann eine Lehre, die gesichertes Wissen zum Inhalt hat, niemals beliebig sein, sondern ist immer und überall zutreffend. Insofern sind alle bewiesenen Naturgesetze das "letzte Maß" und nicht das "eigene Ich" - das wiederum hängt ja auch von den Naturgesetzen ab.

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Fazit

Glauben
- liefert keine Erkenntnisse

- kann beliebig viele Irrtümer enthalten
- ändert nichts an den Tatsachen
- beruht häufig auf fremden Suggestionen

Was bereits Buddha vom Glauben hielt

- Glaube nichts, weil ein Weiser es gesagt hat.
- Glaube nichts, weil alle es glauben.
- Glaube nichts, weil es geschrieben steht.
- Glaube nichts, weil es als heilig gilt.
- Glaube nichts, weil ein anderer es glaubt.
Glaube nur das, was Du selbst als wahr erkannt hast.

Buddha

Nicht schlecht! Nur der letzte Satz ist passt da nicht hinein, weil er irreführend ist. Wenn ich nur meine, eine Wahrheit erkannt zu haben, ohne sie zu überprüfen, kann ich mich darin jederzeit geirrt haben. Irren ist menschlich und kann jeden von uns treffen.  
Es macht keinen Sinn, jedweden Glauben zu Recht erst abzulehnen, um ihn am Ende doch nur durch einen anderen zu ersetzen.
Man sollte also Buddhas letzten Satz korrigieren:

Glaube nur das, was auf seine Wahrheit überprüft wurde -
denn:

Nur auf Wissen ist Verlass
Nur Wissen verschafft dir Zugang zu Erkenntnissen - und damit zu dem, was zutrifft: der Wahrheit; obwohl Wissen immer fragmentarisch bleiben muss. Selbst der teilweise Zugang zur Wahrheit ist besser als gar keiner, oder als ihn sich durch Glaubensirrtümer unnötig zu versperren.

Glauben, Wissen und der blaue Himmel
Stellen wir uns ein paar Sektenbrüder vor, die glaubten, der Himmel sei lila. Würde der dadurch lila werden? Er wäre nach wie vor blau, wie vordem - und selbst dann, wenn es gar keine Menschen mehr gäbe, die vordem irgendwas Skurriles über ihn geglaubt hatten.
Nun weiß jedermann, dass es den blauen Himmel gibt - und daher wäre es, gelinde gesagt, sehr seltsam, käme jemand auf die Idee, anderen nahezulegen, an den blauen oder gar lila Himmel glauben zu sollen.
Ein derartiger Glaube wäre schlicht überflüssig - und darüber hinaus völlig absurd.
Ist es nicht mit jedwedem anderen Glauben genauso?

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Aufklärung
ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen.

Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
ist also der Wahlspruch der Aufklärung.
Immanuel Kant in "Berlinische Monatsschrift", 1784

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Indigen und intelligent - die Piraha
Dieses indigene Volk der Piraha in Südamerika kommt völlig ohne Glauben aus - und sie sehen auch keinen Sinn darin, irgendeinen Glauben anzunehmen. Mehrere Missionsversuche scheiterten kläglich. Zuletzt wurde sogar ein ehemals evangelischer Missionar durch ihr Beispiel zum Atheisten.

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