Reinhardt Graetz

Inhalt

Die Religionen

Basis aller Religionen:
das Moralbewusstsein - Beseitigung von Unzulänglichkeiten


Die Wurzeln des Moralbewusstseins
Vorausgegangen war wohl in grauen Vorzeiten eine Ahnung davon, dass wir Menschen Teile eines größeren Ganzen sind. Das war zunächst das Rudel mit seinem Rudelführer, wie wir es ja bei Tiergesellschaften beobachten können. Aber auch das Rudel ist nicht gegen Unbill gefeit - mal gibt es nicht genug Wasser, oder nicht genug Nahrung, oder das Wetter verhagelt allen die mageren Ernten. Welcher unbekannte Rudelführer steckt wohl dahinter? 

Die Schamanenführer erweckten das Bewusstsein für die Abhängigkeit von Naturgeistern, und sie selbst spielten dann die Stammesältesten. Man musste beide - die Schamanen und die Geister - gnädig stimmen mit allerlei Opfern und Ritualen. So nach und nach ergab sich die Einsicht, dass wir alle von der Natur abhängig sind. Wer aber steckt wiederum hinter der Natur? Ein guter oder ein böser Ober - Naturgeist? Man kann ihn nicht sehen, spürt aber ständig seine Wirkungen; ist er uns nun gut oder feindlich gesonnen...? So standen die Urmenschen bereits unter der ständigen Einwirkung von nützlichen und schädlichen, erfreulichen wie bedrohlichen Vorgängen. Wann genau sie anfingen, sich darüber klare, rationale Vorstellungen zu machen, ist bis heute unbekannt.

Ursprünge der Religionen: das Moralbewusstsein
Erst durch das Moralbewusstsein sind die Menschen in der Lage, Dinge, Zusammenhänge und Vorgänge zu beurteilen und dann zu bewerten (gut oder schlecht/böse? - nützlich oder schädlich?), und erst dann kann ein Bewusstsein über irgendwelche Defizite entstehen. Sonst nähmen sie einfach alles so hin, wie es ist und machten sich weiter keine Gedanken darüber. Erst aus der Wahrnehmung und dem Bewusstsein eines Defizits heraus resultiert der Wunsch, die Dinge oder gar die ganze Welt verbessern zu wollen, sie zu vervollkommnen.
Und genau auf dieser Basis sind alle Religionen entstanden - aus der Annahme/dem Glauben, der Hoffnung/der Sehnsucht/dem Bestreben heraus,  die vielen Unzulänglichkeiten und Mängel des gegenwärtigen "Jammertals" eines Tages zu überwinden - und dass am Ende aller Tage, in nebulöser Zukunft eine ideale, bessere neue Welt entstünde. Das heißt aber auch: diesen Zustand sofort in dieser unserer Welt herbeizuführen - dazu haben sich wohl alle Religionsdesigner außerstande gesehen.

Das "Geheimnis" der Freimaurer
Diese Einsicht wurde sehr lange bei den Freimaurern als streng gehütetes "Geheimnis" behandelt, welches nur in deren obersten Hierarchiestufen zirkulieren durfte. Die katholische Kirche wiederum vermutete lange schon, dass die Freimaurer über ein derartiges "Geheimwissen" verfügten, was sie entweder jahrhundertelang mit ihnen teilte, es aber nie zugab - oder möglicherweise gar nicht so genau wusste, worum es sich da handelt. Das geht zumindest aus einigen päpstlichen Enzykliken hervor, die sich speziell gegen die Freimaurer wenden. Die Freimaurer selbst gaben ihr "Geheimnis" erst in jüngster Zeit preis - genauer durch Prof. Grün/Uni Frankfurt, in einem Interview in der ARD-Sendung "Planet Wissen". Religionen, so der Freimaurer Prof. Grün, hätten ihre Wurzeln in den Sehnsüchten und Ängsten der Menschen, welche durch die Religionen aufgegriffen und institutionalisiert worden seien.

Warum top secret-?
Wenn aber diese Aussage jahrhundertelang als "top secret" behandelt wurde - sowohl bei den Freimaurern als auch bei den Katholiken - dann muss ihr von beiden Gruppierungen für lange Zeit ein enormes Gewicht zugemessen worden sein. Warum diese panische Angst vor einer möglichen Bekanntgabe dieses "Geheimnisses"-? In unserer säkularisierten Welt ist die Brisanz dieser Aussage erst auf den zweiten Blick erkennbar. Es geht hier aber um den Kern dessen, was dem gemeinen Volk jahrhundertelang zu glauben aufgegeben war - von Menschen, die sich das alles ausgedacht und in die Form eines geistigen Gedankengebäudes gegossen hatten - der Religion an sich und als solcher. Kürzer und plakativer formuliert: Diese Aussage enthält das Eingeständnis:

Religion ist Menschenwerk - und keineswegs irgendeine göttliche Offenbarung.

Die bessere Welt
Die zukünftige bessere, neue Welt wird in allerlei religiösen Schriften umschrieben mit Begriffen wie "ewige Seligkeit", "himmlisches Jerusalem" oder "ewiges Leben". Die Unzulänglichkeiten unserer gegenwärtigen Welt und der Menschen - die wird in der Sprache aller Religionen durchweg als "sündig" bezeichnet - sollten und könnten wir mit ihrer Hilfe überwinden. Das ist der Kern allen aufgetragenen Glaubens, und gleichzeitig die Geschäftsgrundlage aller Religionen. Sie selbst sind Organisationsformen, die dazu dienen, mit der Moral, mit "gut" und "böse" im Alltag des menschlichen Lebens umzugehen. Hierzu dienen sowohl die religiösen Rituale als auch eine spezielle Symbolik in ihren Lehren, wozu dann auch ihre Götter und die "heiligen" Schriften gehören.
Für die Überwindung menschengemachter und darüber hinaus allgemein irdischer Unzulänglichkeiten erklären sich traditionell die Religionen zuständig. Die "Erlösung vom Bösen", so ihr Glauben, soll allerdings erst in ferner, nebulöser Zukunft stattfinden, wahlweise im "Jenseits" - also dann, wenn wir alle längst das Zeitliche gesegnet haben werden. Offenbar sahen sie sich alle außerstande, genau diesen Zustand in bereits absehbarer Zeit herbeizuführen...
Für die Überwindung naturgegebener Unzulänglichkeiten machen sich inzwischen die Naturwissenschaften stark - mit greifbaren Teilerfolgen bereits im irdischen Leben. Diese Erfolge erreichten sie sehr bald bei den äußeren Lebensumständen; inzwischen durchdringen sie zunehmend auch die zentralen menschlichen Bereiche, wie Medizin, Psychologie, Soziologie, ...

So haben die Religionen wie die Wissenschaft durchaus die gleichen moralischen Wurzeln und Zielsetzungen: die Überwindung von Unzulänglichkeiten und/oder Verbesserung des Bestehenden: früher oder später soll ja mit ihrer Hilfe alles "besser" werden.

Soll - Ist
Allgemeiner betrachtet, ist durch die moralbedingte Sichtweise ein Verfahren entstanden, bei dem ein "schlechter" Istzustand durch einen "besseren" Sollzustand ersetzt werden soll - durch zielgerichtetes, aktives Handeln. Das ist eine neuer Aspekt im Rahmen der Evolution - die bisher nur durch langfristige Reaktionen auf naturgegebene Herausforderungen gekennzeichnet war.
Wissenschaft und Technik befördern konkrete Projekte, die in einem überschaubaren Zeitraum zuverlässig realisiert werden können. So ist in den letzten 200 Jahren die Industrialisierung realisiert worden, mit all ihren konkreten, für die Menschen positiven Ergebnissen. 
Die Religionen dagegen siedeln ihre Vorstellungen des besseren Sollzustandes meist an einem imaginativen Ort in einer nebulösen Zukunft an. Damit soll die Motivierung für eine ständige Verbesserung über längere Zeiträume aufrechterhalten werden.

Die unzulängliche Welt = für alle Religionen eine "sündige" Welt
Die Aneignung des Moralbewusstseins war ein längerer Prozess. Die biblischen Autoren haben diesen Prozess in der bekannten Geschichte von der Vertreibung aus dem "Garten Eden" beschrieben - in Symbolen und Metaphern. Speziell die Aneignung des Moralbewusstseins wird mit dem "Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen" umschrieben - also einem Baum als Sinnbild eines lebendigen Prozesses, bei dem zuletzt die Früchte der Moralerkenntnis reiften, die die Menschen dann zu guter Letzt "gegessen" (=einverleibt/verinnerlicht) haben.

"Sündenfall": der Erwerb des Moralbewusstseins - gegen ein zuvor erlassenes Verbot. 
In den religiösen Narrativen war die "Sünde" des fiktiven ersten Menschen Adam sein Ungehorsam - das Schlimmste, wessen sich Sklaven schuldig machen können. Die sollen ja stets funktionieren und ohne Murren gehorchen, sonst sind sie nichts wert.

Eigenartigerweise hatte ihm ja seine Herrschaft "Gott" zuvor verboten, sich ein Moralbewusstsein anzueignen. Mit seiner der Aneignung verstieß "Adam" offenkundig gegen den Herrschaftsanspruch, über die alleinige Deutungshoheit über die Moral zu verfügen.

Die Aneignung des Moralbewusstseins markiert tatsächlich den Beginn der menschlichen kulturellen Evolution. Sie ist zur Basis aller menschlichen Kulturen geworden.

Fortschritt wird als "Sündenfall" verkauft
Die Religionen stellen diese Entwicklung bis heute für ihre Zwecke höchst einseitig und pervertiert dar. Diese Umwertung eines gewichtigen Fortschritts in sein Gegenteil durch alle Religionen - hervorgerufen durch deren einseitige Darstellung als ein "Sündenfall" - wirkt im Bewusstsein aller Gläubigen bis heute nach als etwas Negatives, was es zu überwinden gilt oder vielleicht rückgängig gemacht werden sollte. "Sünde" gilt ja bis heute im allgemeinen Sprachgebrauch als eine "böse" Handlung.

Gleichzeitig wird damit suggeriert, dass ausschließlich die "bösen" Menschen schuld seien an den Unzulänglichkeiten dieser Welt - in diesem Punkt wird ihnen ganz selektiv plötzlich eine Eigenverantwortlichkeit zugestanden; ansonsten aber "gehörten sie sich nicht selbst" und seien von der "Gnade Gottes" (daraus abgeleitet: seiner selbsternannten Stellvertreter) abhängig.
Nicht genug damit: die katholische Kirche setzt da noch eins drauf mit ihrem Dogma der "Erbsünde", das bis zum heutigen Tage gilt. Die "Erbsünde" sei direkt auf den "Ungehorsam" von "Adam", dem "ersten Menschen" zurückzuführen - einer erfundenen Symbolfigur...
http://de.wikipedia.org/wiki/Erbs%C3%BCnd

Ohne diese Bewertung der Moralerkenntnis als "Sündenfall" entfiele allerdings für alle Religionen deren Geschäftsgrundlage: würden sie diese unsere Welt nicht als "böse" und "sündig" brandmarken, entfiele für sie auch der Anspruch, dafür zu sorgen, die Menschen von eben diesem "Bösen" zu "erlösen".

Zugleich wird damit der höchst irdische, patriarchalische Machtanspruch der Religionen begründet - worum es ihnen im Kern tatsächlich geht.


Um in der Symbolik der biblischen Geschichte zu bleiben: Wären die beiden Hauptfiguren "Adam" und "Eva" brave Tugendbolde geblieben, wüssten sie und ihre Nachkommen bis heute nicht zwischen gut und böse zu unterscheiden; sie würden immer noch nackt im Garten Eden herumlaufen und manchmal frieren - der extra gesetzte "Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen" wäre dann völlig überflüssig gewesen und vermutlich längst verdorrt...
In noch weiter zurückliegenden Entwicklungsphasen der Menschen wirkten wohl die animalischen Urimpulse von Abschreckung (Schmerz, wilde Tiere: = böse) und Verlockung (Futter, Paarung: = gut) als Urmotive, aus denen später das Moralbewusstsein hervorging.

Meinungsverschiedenheiten darüber, was nun als gut oder böse, gut oder schlecht etc. anzusehen sei, führen bis heute zu Gruppenkämpfen und kriegerischen Auseinandersetzungen; Aggressivität, Rechthaberei und Intoleranz wirken dabei wie zusätzliche Brandbeschleuniger. Diese Meinungsverschiedenheiten ergeben sich mit den Gruppenbildungen zwangsläufig - als moralische "Achillesferse".

Und: erst seitdem die Menschen ihr Moralbewusstsein - mit den Begriffen "gut" und "böse" - entwickelt hatten, konnte der Begriff "Gott" entstehen.

Gott, das Überwesen
In die Vorstellungen der Menschen von einem Überwesen "Gott" flossen nun alle Wunschvorstellungen von Eigenschaften ein, welche die Menschen in Anbetracht ihrer eigenen Unzulänglichkeiten so schmerzlich bei sich selbst vermissten: "Gott" sei allmächtig, allgegenwärtig, allwissend, stürbe nie, sei stets gütig, gerecht und liebt alle Menschen, und daher würde er auch allezeit das Gute befördern und stets das Böse vernichten.

Daher ähneln sich die Gottesversionen aller Religionen sehr, und so sind sie von ihnen in ihre Gesamt - Glaubenskonstruktion entsprechend eingepasst.

---------------------------------------

Fatale Folgen der einfachen Moral

Das einfache Moralbewusstsein kennt nur gut oder böse, schwarz oder weiß, entweder/oder. Abstufungen oder Ambivalenzen kommen darin nicht vor.

Wenn nur "wir" die Guten sind und damit "ihr" die Bösen seid, haben "wir" selbstverständlich die "heilige" Pflicht, das Böse (=euch) mit Stumpf & Stiel auszurotten, auf dass diese Welt endlich "vom Bösen erlöst" und danach friedlich wird. 1962 hätte es beinahe geklappt - Stichwort "Kubakrise"; da gab es weltweit nur noch zwei Hauptgruppen, Ost und West. Jede Seite war felsenfest davon überzeugt: Nur WIR sind die Guten, IHR gehört zum Reich des Bösen. Also - weg mit Euch! Immerhin hatte jede Seite bereits die 150-fache "overkill capacity" aufgebaut, damit am "Tag X" nur ja nichts schiefgeht!
Dumm nur: hätte es damals wirklich geklappt, wären leider auch "wir", die Guten, mit draufgegangen...

http://de.wikipedia.org/wiki/Kubakrise


In den nachfolgenden Jahren gab es bei der US Army wie auch bei der Roten Armee immer wieder technische und organisatorische Pannen, die noch brisanter waren als die Kubakrise selbst.

Beinahe hätte es geklappt. Nur, weil einige besonnene Leute damals auf beiden Seiten dazwischengingen, können Sie das hier und heute lesen. Wegen eines Computerfehlers waren in einem Fall die Atombomber bereits gestartet, es fehlten bis zur Zündung der ersten Bombe nur noch wenige Minuten. Die ganze Ungeheuerlichkeit wurde von den Medien jahrzehntelang fast totgeschwiegen.
 
--------------------------------------

Gut und böse - die Moral

Nach Shakespeare „ist kein Ding an sich gut oder böse, erst die Gedanken machen es dazu“.

"Die Gedanken" - damit ist hier die "Moralbrille" gemeint. Durch diesen Filter betrachtet, erscheinen auf einmal die meisten Dinge ambivalent; sie können durchaus ein bisschen oder ganz und gar, je nach Betrachtungsweise und Interessenlage, sowohl als gut oder auch als böse bewertet werden; es ist immer eine Frage des Standpunkts.

Die einfache Moral, die alles einteilt in nur gut oder nur böse - weiß oder schwarz - ist daher selbst unzulänglich.

Unzulänglichkeiten der einfachen Moral
Das hatte man schon in der antiken Welt erkannt und sann auf Abhilfe.
Die einfache Entweder/oder-Moral musste daher durch weiterführende Vorstellungen ergänzt werden. Heute haben die Menschen differenziertere Moralvorstellungen. Auf der Grundlage dieses einfachen Moralbewusstseins entwickelten sich zunächst, nach und nach, alle bekannten und weniger bekannten Religionen. Die erste monotheistische Religion entstand bereits im alten Ägypten: Pharao Echnaton verkündete das Ende aller früheren Götter. Nur der Sonnengott Aton sollte übrigbleiben. Das spätere Judentum emanzipierte sich von früheren ägyptischen Vorgaben (in der Metaphorik: Moses befreite die Juden aus der ägyptischen Gefangenschaft) zu einer eigenständigen Religion, aus der später das Christentum und noch später der Islam hervorgingen.

Natürlich entstanden bei so vielen unterschiedlichen Gruppierungen zwangsläufig auch viele verschiedene Religionsvarianten. Erst mit diesem Hintergrund konnte sich das Phänomen "Glauben" etablieren - zunächst als Wunsch, als Sehnsucht, eben als Glauben, gegenwärtige oder vergangene Unzulänglichkeiten - das "Jammertal" - zu überwinden; irgendwann in der Zukunft würde sich die "Erlösung vom Bösen" ereignen, dadurch alles zum Guten wenden und zuletzt eine ideale neue Welt entstehen. Darüber hinaus entwickelte sich generell eine Ahnung davon, dass diese Welt veränderbar wäre zum "Besseren"- zunächst in der Vorstellung/dem Glauben, das "Gute" würde sich durchsetzen und so das "Böse" überwinden. Der frühe Glaube bestand darin, nur das personifizierte Gute - "Gott" - wäre dazu imstande.

Schrittweise Überwindung von Unzulänglichkeiten
Später reifte die Einsicht, dass dies die Menschen selbst bewerkstelligen könnten. Tatsächlich tun sie das auch: sie versuchen ja tagtäglich, genau das durchzusetzen, was sie zuvor für gut befunden haben. In der Bibelsymbolik wird dieser Vorgang als "Weltgericht" bezeichnet. So steht konsequenterweise im Zentrum des Christentums die Idee, Gott sei Mensch geworden; alljährlich feiern dies die Christen mit ihrem Weihnachtsfest. "Gott" - das Gute - habe somit von den Menschen Besitz ergriffen, sie würden es mit allen ihren Aktivitäten so lange voranbringen, bis sie sich zuletzt im "himmlischen Jerusalem" wiederfänden - dem ideellen Ort, aus dem das Böse für immer verbannt sei und "Gott" - das Gute - für immer die Oberhand gewänne, dort auf ewige Zeiten mit dem "Lamm" (der Nächstenliebe) und den "Gerechten" herrsche - in einem Zustand der "ewigen Seligkeit".

Hierzu gibt es in der Bibel drei Geschichten, die sich jeweils bestimmter Metaphern bedienen:

1. Die Vertreibung aus dem Garten Eden
2. Das Etablieren der 10 Gebote
3. Das Weltgericht

In der Geschichte von der Vertreibung aus dem "Garten Eden" (link zum Text hierzu am Seitenende) wird der Prozess der allgemeinen Moralerkenntnis kurz und knapp in Form einer fiktiven Reportage geschildert. Ganz ähnlich verfahren die Bibelautoren mit der Geschichte über das Etablieren der "10 Gebote" - Richtlinien für den Umgang der Menschen miteinander - nicht mehr gegeneinander. Die "10 Gebote" sind aus einem allgemeingültigen moralischen "Grundgesetz" abgeleitet:

"Was du nicht willst, das man dir tu', das füg' auch keinem anderen zu!"

Diese Grundregel findet sich daher in allen Religionsgemeinschaften wieder.
[siehe hierzu auch Menüpunkt >"Goldene Regel"!]

Weg mit dem Bösen!
Der Wunsch liegt nahe: wenn die Menschen die Wahl haben zwischen gut und böse, entscheiden sie sich immer für das, was sie als gut befunden haben. Und im Gegenzug entsteht der Wunsch, das Böse zu vermindern, es möglichst ganz zu vermeiden - am besten wäre es natürlich, es ganz abzuschaffen.
Das Böse ganz abzuschaffen - wäre das nicht der Idealfall?

Das Weltgericht
Das biblische Geschichte vom "Weltgericht" am "jüngsten Tag" beschreibt genau diesen Fall - mit seiner eigenen Metaphorik. Es ist vordergründig eine Zukunftsvision von der endgültigen Verurteilung und Abschaffung des Bösen und dem Beginn der Alleinherrschaft des Guten, der Nächstenliebe und der Gerechtigkeit - von "Gott", dem "Lamm" und den "Gerechten" - weltweit.

Diese Symbolik beschreibt einen täglichen, weltweit stattfindenden Vorgang, der praktisch alle Menschen betrifft. Es ist die Summe der täglichen Entscheidungen aller Menschen für das, was sie nach einem Beurteilungs- und Bewertungsprozess jeweils für "gut" befinden und daher durchsetzen wollen - überall auf der Welt, im Großen wie im Kleinen. Wenn die Menschen ihre Vorhaben dann auch umsetzen, wird an jedem "jüngsten" Tag - das ist immer der heutige Tag! - die Welt in ihrem Sinne umgestaltet und damit verbessert. Dadurch wird aus ihrer Sicht "das Gute" jeweils ein Stückweit befördert - und damit "das Böse" ebenso ein Stück zurückgedrängt.

Die schrittweise Beseitigung von Unzulänglichkeiten sowie wie das Verwirklichen von früheren Visionen durch konkrete Aktionen bezeichnen wir heutzutage als "Fortschritt".  So hat jeder Fortschritt seine Wurzeln in der Moral.

Die Menschen konnten vor ca. 2 000 Jahren in ihrer übergroßen Mehrheit weder lesen noch schreiben oder in abstrakten Begriffen denken - ein Umstand, den wir heute fast aus dem Blickfeld verloren haben; die Bibelautoren - die nicht identisch sind mit denjenigen, die die Texte aufgeschrieben haben - standen nun vor einer kniffligen Aufgabe: wie können wir dem gemeinen, analphabetisch gehaltenen Volk moralische Begriffe und Zusammenhänge nahebringen? So, dass uns jeder versteht?

Herausgekommen sind dabei die bekannten Bibeltexte.

Bis diese Texte zu ihrer endgültigen Form fanden, von einer ursprünglichen Lose-Blatt-Sammlung über einen mehrfachen Auswahlprozess bis zur heutigen kanonisierten "heiligen Schrift", bedurfte es längerer Diskussionen, mehrerer Konzilien und deren Beschlüsse - sowie einiger hundert Jahre. Trotzdem gibt es immer noch unterschiedliche Textversionen, bei den Katholiken, den Orthodoxen, den Protestanten, den Kopten, auch den Mormonen...
Diese Texte werden bis heute immer noch von vielen Lesern wortwörtlich genommen, obwohl die Geschichten dieser direkten Bedeutung nach gar nicht funktionieren könnten und in allerlei logische Sackgassen führen. Aber: bei der wörtlichen Interpretation kommt es in erster Linie auf die emotionale Tiefenwirkung einer kräftigen Bildersprache an, die die Vorstellungswelt des gemeinen Volkes beeinflussen soll, und nicht so sehr auf logische Zusammenhänge. Bekanntlich ist der Mensch zu 80% ein visuelles Wesen, und so entfalten emotionsgeladene Vorstellungsbilder bis in unsere Tage eine ungleich stärkere suggestive Wirkung als dürre Worte allein.

Holly- wie Bollywood, die Werbewirtschaft, und natürlich Religionsgemeinschaften und politische Parteien jedweder Couleur als Teile einer weltweit agierenden Bewusstseinsindustrie verdienen heutzutage mit dieser Tatsache Abermilliarden! Jede dieser Gemeinschaften wollen auf ihre Weise und aus ihrer Sicht "das Gute" befördern. Konkret: viele Anhänger hinter sich scharen - und möglichst Milliarden verdienen.

Erwerb und Aneignung des Moralbewusstseins -  für die Religionen ein "Sündenfall"
Wie schon erwähnt, würden sich sämtliche Religionen ihrer Geschäftsgrundlage berauben, wenn sie diese unsere Welt nicht als "sündig", und damit ihre Schäflein als erlösungsbedürftig hinstellen würden. Die Radikalisierung des Moralbegriffs durch den Monotheismus kommt ihnen dabei noch entgegen. Alle großen Religionsgemeinschaften sind bis heute bei der bisherigen "Sündenfall" - Version geblieben.

Das Erbsünde-Dogma
Die katholische Kirche setzt da noch eins drauf mit ihrem "Erbsünde"-Dogma; nach dieser bizarren Vorstellung bekommt jedes Neugeborene die gesammelte Sündenlast sämtlicher Vorfahren aufgebrummt, obwohl es noch gar nichts ausgefressen haben kann. Vordergründig werden damit die gläubigen Sklaven in einem System von Schuldgefühlen gefangen gehalten. Dazu müssen sie den Bibeltext wortwörtlich nehmen - und genau deshalb legen nicht nur die katholische Kirche, sondern alle christlichen Fundis so großen Wert darauf!
Tatsächlich aber ist die "Erbsünde" nur eine Metapher dafür, dass das Moralbewusstsein seit seiner Entstehung immer wieder an die nächstfolgenden Generationen weitergegeben - "vererbt" wird.

Das Moralbewusstsein macht die Menschen "klug" und "Gott gleich"
Dabei wussten die biblischen Autoren sehr wohl um den tatsächlichen Stellenwert des Moralbewusstseins. Sie schrieben den Bibelvers:

Und Gott der HERR sprach: Siehe, Adam ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. - 1. Mose 3.22

Wird man ausgerechnet durch Ungehorsam (="Sündenfall") Gott gleich-? Das klingt nach einer Geschichte aus Absurdistan und wenig überzeugend. Sondern eher wie ein widerwilliges Eingeständnis, dass sie damit doch etwas Größeres erworben haben müssen...

Relativierungsversuch der Mormonen
Die einzige Glaubensgemeinschaft, denen die konfuse Logik der biblischen "Sündenfall"-Darstellung aufgegangen ist, sind die Mormonen. In einer korrigierenden Ergänzung zum alttestamentarischen Bibeltext lassen sie "Eva" Gott dafür danken, dass sie das göttliche Verbot, sich das Moralbewusstsein anzueignen übertreten habe - sonst könne ihr ja nicht die "Erlösung" von der sündigen Welt winken. **
Dieser Relativierungsversuch wirkt einigermaßen verunglückt - ohne das Angebot, die Menschen vom Bösen zu erlösen, würden auch die Mormonen ihre Geschäftsgrundlage in Frage stellen. So bleiben sie bei der "Sündenfall"-Darstellung und würdigen nicht den fundamental wichtigen Stellenwert der Moralerkenntnis.

Deutungshoheits-Monopol

Was steckt eigentlich hinter dem seltsamen Widerspruch in dieser Geschichte, dass die Urmenschen ausgerechnet durch Ungehorsam "Gott gleich" wurden-? Es geht hier schlicht um die Etablierung des klerikalen wie weltlichen Herrschaftsanspruchs über die Sklaven - ihre gläubigen Schäflein.

Im Klartext: Nur die Herrschaftskaste und ihre klerikalen Helfershelfer haben über die Auslegung der Moral zu befinden - nicht etwa die Sklaven-! Wenn sie es aber doch tun, wird ihnen wegen Ungehorsam die höchstmögliche Verdammnis auf Erden angedroht: Sie werden aus dem Paradies lebenslang in ein Straf- und Internierungslager namens "Jammertal" verbannt, in dem ihnen höchst widrige Umstände drohen. Das Leben dort ist hart und bedrohlich - im Schweiße ihres Angesichts sollen sie ihr Brot essen, welches sie mühsam ihren kargen, von Disteln und Dornen bewachsenen Äckern abringen müssen. Zudem droht ihnen Mord & Totschlag durch ihre Mitgefangenen...

Kurz: gläubigen wie ungläubigen Sklaven wird Ungehorsam gegen ihre Herrschaft als das schlimmste denkbare Vergehen hingestellt.
Verstöße dagegen werden mit Verbannung geahndet in einen lebenslangen Jammertal-GULAG, und der herrschaftliche Schuldspruch setzt sich per Erbsünde-Dekret auf alle möglichen Nachkommen fort. Das Paradiestor ist endgültig zugeschlagen, und davor steht ein furchterregender, bewaffneter Wächter. Rückkehrversuche zwecklos...

So wurden mit diesen Religions-Narrativen die höchst weltlichen patriarchalischen Herrschaftsansprüche schon in der Antike etabliert. Tatsächlich haben sich die Sklavenhaltergesellschaften jahrtausendelang gehalten - bis heute. Erst in unseren Tage beginnt diese Herrschaftsform zunehmend zu bröckeln. 

So haben die großen monotheistischen Religionen von Anfang an wenigstens drei Geburtsfehler:

1. Die radikale Polarisierung des Moralbewusstseins:
    Da gibt es nur entweder gut oder böse, schwarz oder weiß: "Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!"
    Das führte zu einer radikalen Polarisierung von allerlei menschlichen Gruppen: Wir sind die Guten - ihr die Bösen-!
    ...und damit zu unaufhörlichen Dauerkonflikten, bis heute. 
    Daraus bot 
erst das Christentum mit der "Nächstenliebe"-Idee einen Ausweg.

    Alle Menschen sollen sich verbrüdern, jeder soll sich als Teil ein- und desselben Menschengeschlechts fühlen.

2. Die gezielte Pervertierung eines grundlegenden Fortschritts:
     Die Aneignung des Moralbewusstseins wird den Gläubigen von allen Religionsgemeinschaften
     durchweg als "Sündenfall" verkauft und damit deren Bedeutung pervertiert: ein gewichtiger Fortschritt
     wird von ihnen als "Sündenfall" - und damit als etwas Böses denunziert. Sie reduzieren das Moralbewusstsein
     auf den Teilbereich "Gehorsam/Ungehorsam = gut/böse" - und pervertieren so dessen weitreichende 
     Bedeutung für die weitere Entwicklung der Menschen.
     Die Absicht dahinter ist unschwer zu erkennen:
     Diese spezielle Interpretation des Moralbewusstseins als angeblicher "Sündenfall" der Sklaven soll ausschließlich
     den Klerikern wie den säkularen Herrschern ihr Machtmonopol sichern.  


3. Die Hoffnung auf die Möglichkeit, das Böse vollständig abzuschaffen
     
im zukünftigen "himmlischen Jerusalem": Zuende gedacht, käme den Menschen dadurch auf Dauer das
     Moralbewusstsein wieder abhanden; in einer solchen Welt könnte sich Böses ereignen, ohne dass es
     wahrgenommen würde. Der bereits erreichte Fortschritt wäre dann wieder hinfällig.

Mit den Nachwirkungen dieser Geburtsfehler schlagen wir uns bis heute herum.

So ist es nicht überraschend, wenn in jüngster Zeit ausgerechnet ein prominenter Religionsführer, der Dalai Lama, generell die Religionen als "nicht mehr zeitgemäß" ansieht. Er schlägt als Ersatz dafür eine allgemeinverbindliche, säkulare Ethik vor. Ganz ähnlich, wie es zuvor schon der katholische Dissident Hans Küng mit seinem "Weltethos"- Projekt versucht hatte. Neu ist, dass diese Ethik global und vor allem säkular sein soll.