Lang ist's her...
Ich bin tatsächlich im Garten Eden zur Welt gekommen, schon vor über einem halben Jahrhundert.
Wie Sie richtig vermuten, liegt der im Nahen Osten – sogar ziemlich nahe, nämlich am Stadtrand von Berlin, in Oranienburg. Eden wiederum ist ein Stadtteil von Oranienburg, aber auch gleichzeitig eine Art irdisches Replikat der biblischen Legende: die erste Grünen – Siedlung in Deutschland. Sie wurde bereits 1893 gegründet und existiert immer noch. Ob die heutigen Grünen sie überhaupt kennen, und ob sie die nächsten 120 Jahre überleben wird, ist allerdings sehr fraglich.
Schon bald nach Schulbeginn traten verschiedene Gruppierungen an, um mir ihre jeweils "absolute" Wahrheit zu verkaufen. Das war damals und besonders in dieser Gegend so üblich. Ganz aus der Mode gekommen sind derartige Ansinnen immer noch nicht.
Ich nahm das erst mal so hin, ein bisschen irritiert, ohne mir einen rechten Reim darauf machen zu können. Die vielen Behauptungen und die damit verbundenen Widersprüche konnte ich da noch nicht auflösen. Übrig blieben viele Fragen...
Dann kamen turbulente Zeiten: Kalter Krieg, Mauerbau, Fluchtbewegung westwärts, Studium, Berufsausbildung, Familiengründung; heute wohne ich am Rhein. So nahm das Leben an sich und als solches über ein halbes Jahrhundert lang seinen Lauf, und ich hatte das Glück, in dieser Zeit einen Teil unserer Welt und viele Menschen kennenzulernen. 1989 ging der Kalte Krieg zuende, die Mauer fiel, und ungefähr zehn Jahre später kam auch das Ende meines Berufslebens – und beinahe auch mein eigenes, wg. massiver Gesundheitsprobleme. Aber - die moderne Medizin ist besser als ihr Ruf; sie half mir, diese Probleme zu überwinden - oder wenigstens weitgehend zu entschärfen.
Inzwischen konnte ich die Zeit nutzen, die alten unbeantworteten Fragen wieder aufzugreifen, um vielleicht jetzt Antworten darauf zu finden. So nahm ich mir vor, bei diesem Prozess möglichst unvoreingenommen zu bleiben und verließ mich dabei auf Instinkt und Erfahrung - und so fielen manche Antworten ziemlich überraschend und unorthodox aus. Darüber hinaus wurde nach einiger Zeit so etwas wie ein roter Faden sichtbar, der diese Antworten in einen plausiblen, größeren Zusammenhang bringt.
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Reinhardt Graetz
Eden
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mehr über Eden zu erfahren:
In diesem Heft der Reihe "ZEIT - Geschichte" bekommen Sie einen Überblick über die Reformbewegungen des 19. Jahrhunderts, wovon das Projekt "Eden" ein Teil war.
Eden ist eine grüne Siedlung am Stadtrand von Oranienburg bei Berlin - und zugleich eine gemeinnützige Obstbau - Genossenschaft, gegründet 1893 in Berlin von grünen Aussteigern. Aus ihr ist später auch die Fa. "Eden" hervorgegangen, die Bio-Produkte in Reformhäusern anbietet.
Sie wollten ihr Leben reformieren:
Ihre "Eden" - Idee steht für drei Reformvorhaben: Lebensreform, Bodenreform, Ernährungsreform.
Diese Reformideen entstanden als eine frühe Reaktion auf den ersten großen Industrialisierungsschub im Deutschland des 19. Jahrhunderts. Die Industrialisierung - mit dem Hintergrund von Aufklärung und Wissenschaft - war ja historisch gesehen ein völlig neues Phänomen und löste bei vielen Menschen ein grundlegendes Unbehagen aus. Trotzdem war sie nicht aufzuhalten und hat sich längst etabliert. Die in Jahrtausenden gewachsenen Lebensgewohnheiten, geprägt durch die Landwirtschaft, wurden auf einmal radikal in Frage gestellt.
Zunächst breitete sich Unsicherheit aus -
wie sollte man mit den Folgeerscheinungen der Industrialisierung umgehen? Von ihren Kinderkrankheiten mal ganz abgesehen.
Plakativ betrachtet, ging aus den lutherischen Reformen die protestantische Ethik und - nach Max Weber - daraus der Kapitalismus hervor. Unter seiner Ägide etablierten sich ebenso die Wissenschaften und eine stürmische technische Entwicklung - die Industrialisierung war geboren. Später gesellten sich die altgriechischen Ideen der Demokratie in neuem Gewande dazu - gegen den bis heute anhaltenden, zähen Widerstand aller konservativen Kräfte. Sie sehen in dieser Entwicklung ein großes Unheil - weil sie ihnen ihre - in Jahrhunderten scheinbar fest etablierte - Macht aus den Händen zu schlagen droht.
Das Modell "Eden" sollte nun "zurück zur Natur" (und heraus aus dem Unbehagen) führen - möglichst vollständig zurück zur gewohnten Landwirtschaft. Damit sollte die Industrialisierung möglichst rückgängig gemacht werden. Eden schien damit im Kern rückwärtsgewandt zu sein.
Kulturelle Evolution und Anthropozän
Dass die Industrialisierung als ein Teil der kulturellen Evolution betrachtet werden kann, die längerfristig zu mehr Fortschritt und damit zu mehr Freiheitsgraden führen kann, ist ein bisher kaum beachteter Aspekt dieser Entwicklung. Ebenso, dass die Industrie auch nur auf Naturgesetze, -elemente und -stoffe zurückgreifen kann, und die Menschen so oder so ein Teil der Natur bleiben, ist eine Erkenntnis, die vielleicht manchen Leuten noch nicht so recht aufgegangen ist.
Die Landwirtschaft ist letztlich - ebenso wie die Industrialisierung - auf das aktive Gestalten und Eingreifen der Menschen in die Natur zurückzuführen, um ihre Lebensumstände zu verbessern. Die Wirksamkeit der Naturgesetze können sie dabei nicht schwächen oder gar aufheben, sehr wohl aber zu ihren Gunsten nutzen - und so dem Planeten immer mehr ihren Stempel aufdrücken. Inzwischen haben die Wissenschaftler dafür den Begriff "Anthropozän" geprägt.
Eden, Reformhäuser, Bioläden - Ernährungsreform
1893 fanden sich grüne Aussteiger zusammen und gründeten die Eden-Genossenschaft, in der diese drei Reformideen in einer Gartensiedlung ausprobiert werden sollten. Die Genossenschaft ähnelt in ihrer Struktur den israelischen Moschavim - Grund & Boden gehören der Genossenschaft, den Genossen gehört aber weiterhin ihr Privateigentum. In der späteren Sowjetunion gab es ähnliche Genossenschaften, "Kolchosen" genannt, übrigens auch in der inzwischen verblichenen DDR: sie hießen "LPG" (=Landwirtschaftliche Produktions - Genossenschaft). In Eden war allerdings die Mitgliedschaft freiwillig, wie es auch bei den Moshavim in Israel der Fall ist - was man von den Kolchosen oder den LPGs nicht behaupten kann.
In Eden wurden immerhin die erste Pflanzenmargarine und die Reformhäuser erfunden. Dort können Sie auch heute noch "Eden" - Margarine kaufen, die bis heute mehr oder weniger nach der Originalrezeptur hergestellt wird. Die spannende Geschichte, wie ein Edener Biochemiker (Dr. Landmann) die erste hochwertige Pflanzenmargarine erfunden hatte, finden Sie weiter unten.
Die Bioläden machen eigentlich dasselbe wie die Reformhäuser, sie kommen nur moderner daher. Zu erwähnen ist auch die Reformhaus - Akademie in Usingen/Ts, die ebenfalls mit ihren Aktivitäten auf "Eden" zurückgeht.
Die von den Edenern angestoßene Ernährungsreform wurde im Laufe der Jahre auf vielfältige Weise vorangetrieben und ist inzwischen Allgemeingut geworden: die Diskussion über gesunde Ernährung hat sich zu einem Dauerbrenner entwickelt.
Hier erfahren sie mehr über die Geschichte der Reformhäuser.
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Ernährungsberatung, Seminare:
Das ist auch Eden - in Heimertingen/Allgäu:
Diese Firma wurde 1952 von der alten Eden-Genossenschaft in Oranienburg offiziell als Filiale mit Sitz in Bad Soden/Ts gegründet. Nach der "Wende" 1990 wechselte sie mehrfach sowohl ihre Eigentümer als auch ihre Standorte. Heute ist ihr Firmensitz in Heimertingen/Allgäu. Reformhäuser werden wie eh' und je beliefert.
Die anderen beiden Refomvorhaben sind indes an der "normativen Kraft des Faktischen" gescheitert.
Bodenreform wurde nur in der Eden - Siedlung verwirklicht, war außerhalb der Siedlung nicht
praktikabel. Sollte die Eden-Genossenschaft verschwinden, werden damit auch
die Reste der Bodenreform in der "Eden"-Siedlung verschwunden sein.
Allerdings gibt es auch erstaunliche gegenläufige Entwicklungen, angestoßen
von der gegenwärtigen Explosion der Immobilienpreise. Die Problemlösung soll
ausgerechnet das Eden-Modell sein...
Lebensreform angedacht als Alternative zur Industrialisierung; sollte deren Fehlentwicklungen
entgegenwirken. In den Anfängen in der Siedlung umgesetzt, wurde später aber
verwässert und die Grundidee - Existenzautarkie über Landwirtschaft/Gartenbau -
nicht mehr weiter verfolgt. Die Industrialisierung kam weiter voran, sie war so nicht
aufzuhalten.
Ein prominenter Edener war Silvio Gesell mit seinen Ideen von "Freigeld" und "Freiland". Die haben sich allerdings als ziemlich unrealistisch erwiesen und fanden daher keine Resonanz - weder bei den Ökonomen noch bei der Allgemeinheit. Auch den Soziologen Franz Oppenheimer kann man zu den prominenten Edenern zählen. Auf der Edener website finden Sie eine vollständige Übersicht der Edener Persönlichkeiten.
Der ursprüngliche Denkansatz, das Modell Eden als generelle Alternative zur Industrialisierung zu etablieren, hat sich als falsch erwiesen: Eden konnte zu ihr bestenfalls einige wichtige Korrekturen liefern - und hat sie damit eher überlebensfähig gemacht, ganz ungeplant. Es gibt hier also kein entweder-oder, sondern nur ein sowohl-als-auch.
Eine grundsätzliche Frage bleibt aber im Raum:
Welchen Stellenwert soll und muss die Landwirtschaft in einer entwickelten Industriegesellschaft bekommen?
Schließlich geht es um das Überleben von inzwischen knapp 8 Mrd. Menschen in dieser unserer Welt - und damit bekommt die Landwirtschaft zwangsläufig wieder ein größeres Gewicht.
Dass allerdings alle 8 Mrd. Menschen auf die Errungenschaften der Industrialisierung verzichten und alternativ dazu global in Gartensiedlungen nach dem Modell "Eden" leben wollten, muss man wohl in das Reich der Utopie verweisen. Gleichwohl gingen von Eden wichtige Impulse in die Gesellschaft, die inzwischen Allgemeingut geworden sind.
Dazu gibt es inzwischen neue Ideen und Experimente unter dem Stichwort "Urban Gardening", worunter auch die "Stadtimkerei" fällt. Die kamen nicht mehr von Eden - aber es ist festzuhalten, dass dahinter die gleichen Impulse stecken, die auch "Eden" angetrieben haben - nämlich das Bewusstsein, dass wir alle ein Teil der Natur sind und sie in unsere Leben einbeziehen sollten. Industrialisierung und Natur sind gar kein Widerspruch, sondern bedeutet gegenseitige Ergänzung.
Ein weiteres Edener Grundanliegen war und ist: Andersdenkende zu respektieren, Meinungsvielfalt als kulturelle Bereicherung anzusehen. Ein zeitlos aktueller Gedanke...
Der Edener Wahlspruch: Leben und leben lassen!