Reinhardt Graetz

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Theodizee

Warum lässt Gott soviel Böses in der Welt zu?

Diese alte Standardfrage taucht hartnäckig immer wieder auf - seit Jahrhunderten, und das nicht ohne Grund.
Um sie schlüssig zu beantworten, sind vorweg ein paar Begriffsklärungen nötig.

Wer ist Gott-? Was ist das Böse-?

Shakespeare: 
Kein Ding an sich ist gut oder böse; erst die menschlichen Gedanken machen es dazu.

Gott:     
Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und "Gott" war das Wort. 
- Joh. 1.1 -

Beides - Gott und die Moral - sind menschliche Vorstellungen.
William Shakespeare lieferte eine treffliche Beschreibung von gut & böse. Gut ist eines der beiden Hauptbegriffe der Moral - woraus die Personifizierung "Gott" abgeleitet wurde.
Dafür hatten die Religionsdesigner vorzeiten ein Wort gesucht - und so waren sie auf das Wort "Gott" gekommen. 

"Gut und böse" sind Bestandteile menschlicher Gedanken -  und damit zwangsläufig auch die daraus abgeleiteten Personifizierungen "Gott" und "Teufel" .

Die Erwartungen an einen angeblich allmächtigen, allwissenden und allgegenwärtigen Gott sind da naturgemäß außerordentlich hoch.  Aber: die Realitäten erleben die Gläubigen da eher als enttäuschend. Eine menschliche Vorstellung kann deren Erwartungen einfach nicht erfüllen.

Wo bleibt die Allmacht?
Kriege, Konzentrationslager, Folter, grenzenlose Niedertracht, Tod und Verderben, Krankheiten, Erdbeben, Überschwemmungen etc. - und damit unendliches menschliches Leid - warum eigentlich lässt Gott dies alles zu? Wenn er denn überhaupt existieren sollte - ist er dann nicht der allmächtige, allwissende und allgegenwärtige Chef, und damit stets informiert über jedwedes Geschehen, zuständig für alles Gute, als höchste und letzte Instanz? Müsste er sich nicht genau deswegen gefordert fühlen, jedwedes Böse schon im Ansatz zu verhindern? Für ein allmächtiges Überwesen sollte das doch eigentlich kein Problem sein, oder-!?
Obwohl sich da schon so ein paar Zweifel einschleichen. Wieso hat "Gott" eigentlich seine eigene Schöpfung so schmählich ersäuft? Hätte er nicht, kraft seiner Allmacht und -wissenheit, gleich eine "richtige" Schöpfung hinkriegen müssen? Und wieso hilft er seinen Getreuen - lt. zahlreicher Bibeltexte - ausgerechnet auf den Schlachtfeldern und lässt es geschehen, dass seine eigenen Geschöpfe von der Gegenseite schmählich hingemetzelt werden, obwohl er einst befahl: du sollst nicht töten-? Wieso greift er nicht ein, um diese grässlichen Metzeleien zu unterbinden, sondern unterstützt sie auch noch einseitig-?

Scheinantworten
Diese Frage war jahrhundertelang nicht totzukriegen, weil sich bisher die Religionsvertreter konsequent um eine ehrliche Antwort herumgedrückt haben: Sie behaupten, sie wüssten auf diese Frage keine Antwort - wie jüngst Papst Franziskus im Januar 2015 auf den Philippinen. Oder sie antworten auf eine Frage, die so gar nicht gestellt wurde - nämlich woher das Böse kommt: sie sagen dann, das Böse sei durch die bösen Menschen in die Welt gekommen, und Gott, der Gute und Allmächtige hätte seine "Strafgerichte" geschickt, um damit die bösen Menschen für ihre Missetaten zu bestrafen. (Dann allerdings würde Gott dem Allmächtigen auch nichts Besseres eingefallen sein, als banalerweise Böses mit Bösem zu vergelten.)
Spätestens dann sollen die gemeinen Schäflein schuldbewusst ihre Häupter senken und sich vom Platz schleichen - und vor allen Dingen nur ja keine weiteren Fragen mehr zu diesem unangenehmen Thema stellen...! Zwar kommt in der Tat in vielen Fällen Böses von den Menschen - aber beileibe nicht alles.

Die Frage lautete aber nicht, woher das Böse kommt, sondern warum Gott, der Allmächtige es zulässt!

Diese Theodizee-Frage, wie sie die Theologen auch nennen, wird daher immer wieder auftauchen - so lange, bis sie endlich einmal ehrlich beantwortet sein wird. Das geschah bisher nicht, weil sonst die Religionsvertreter ihre eigene Geschäftsgrundlage ernsthaft gefährden würden. Sie müssten dann zugeben, dass "Gott" nichts anderes ist als eine extra von ihnen erfundene Glaubensvorstellung. Und im weiteren Verlauf ihr gesamtes Glaubenskonstrukt umbauen, mit allen Risiken, die damit verbunden wären.

Keine Antwort - das kleinere Übel?
Und genau diese Glaubensvorstellung von einem persönlichen Gott ist ja irgendwann einmal von den Religionsdesignern erfunden und ihren nachgeordneten Abteilungen beim gemeinen Volk implementiert worden, und sie wird von ihnen bis heute gepflegt. Der Vatikan - und andere Religionsvertreter - haben nun allerlei Ausflüchte parat: beispielsweise, dass wir in diesem Punkt "Gott" "nicht verstehen" würden. "Gott" sei halt ein Mysterium...
Unlängst erst (Jan 2015) hat Papst Franziskus in aller Öffentlichkeit bei einem hochoffiziellen Staatsbesuch einem kleinen philippinischen Mädchen auf dessen Frage hierzu erklärt: "Wir haben keine Antwort darauf". 

Das ist allerdings eine recht kleinlaute, um nicht zu sagen armselige Antwort, wenn man bedenkt, welch' jahrhundertelanger Aufwand andererseits vom Klerus für die akribische Dogmenpflege - inkl. den dazugehörigen obskuren Begründungen - getrieben wurde! Merkwürdig - das ganze Brimborium von "göttlicher Offenbarung", vorgeblicher klerikaler Besserwisserei und sonstigen weihevollen Phrasen scheint hier auf einmal völlig zu versagen.
Im Klartext: das nehmen sie alles als kleineres Übel in Kauf, um nur ja nicht mit der Wahrheit herausrücken zu müssen.

Fundis: falsche Antwort als Ablenkungsmanöver
Bei den Fundis ist es noch ärger: sie geben immer dieselbe falsche Antwort auf diese Frage. (s. o.) So werden die Fragesteller mit einer Schuldzuweisung abgespeist, und die Frage selbst bleibt unbeantwortet. So verkaufen sie jede Naturkatastrophe oder Epidemie locker als "Heimsuchung" oder "Strafgericht Gottes" und biegen sich so die tatsächlichen Zusammenhänge zurecht, wie es ihnen gerade passt. Eine derartige Dreistigkeit würde sich keine säkulare Firma ihren Kunden gegenüber leisten können, beispielsweise bei einer Reklamation.

Die Deutungslücke bleibt, bis...
Was bleibt, ist eine veritable Deutungslücke aller Glaubenswächter. Die ist allerdings irgendwann einmal von ihnen selbst erzeugt worden, durch ihr eigenes Religionskonstrukt und der darin enthaltenen Gottesfigur. Diese Lücke wird nun so lange offen bleiben, wie sie die Theodizee-Frage nicht ehrlich beantworten wollen. Das war ihnen vermutlich bisher zu riskant. Für eine ehrliche Antwort hat es bisher scheinbar nicht gereicht - wer's glaubt...

Dabei ist die ehrliche Antwort auf die Theodizee-Frage recht einfach:

Warum lässt "Gott" so viel Böses in der Welt zu?

Weil eine menschliche Glaubensvorstellung gar nicht in der Lage ist, aktiv in irgendein Geschehen einzugreifen.

Ebensowenig wäre ein menschliche Glaubensvorstellung in der Lage, gleich ein ganzes Universum zu "erschaffen". 
Damit erweisen sich die Religionsgeschichten um die Zentralfiguren "Gott" und "Teufel" ebenso als menschliche Phantasieprodukte - von antiken Machthabern in Auftrag gegeben, von den biblischen Autoren aufgeschrieben, damit die Analphabeten sie so glauben sollen.


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