Reinhardt Graetz

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Nutzen statt besitzen
 

Nutzen statt besitzen - ein Trend, der sich unbemerkt ausgebreitet hat. Vielleicht signalisiert dieser Trend sogar einen Paradigmenwechsel - man wird sehen.

Besitz hatte bisher eine Zugriffsgarantie geboten auf Dinge und Abläufe, früher (und manchmal auch heute noch) auch auf Menschen. Aber die Aneignung von Besitz ist aufwendig und teuer, und immer auch ambivalent - er kann manchmal zu einem schweren Klotz am Bein werden. Besitz soll unbeschränkten Zugriff und damit Nutzen sichern - aber das geht heute manchmal viel effizienter über einen anderen Weg, abseits vom traditionellen Besitz.

Das spektakulärste Beispiel ist

Wikipedia
Inzwischen ist Wikipedia zu einem weltweit nutzbaren Lexikon avanciert; die Beiträge haben Nutzer in aller Welt geliefert und stellen sie allen anderen unentgeltlich zur Verfügung - freiwillig! Fast wie in einer kommunistischen Idealutopie. Nutzer in aller Welt können jederzeit auf ihre Inhalte zugreifen - kostenlos!
Renommierte Lexikon - Verlage haben inzwischen ihre Printausgaben stark reduziert oder sogar ganz eingestellt.
Die Zauberformel:

>Nutzen statt besitzen.

Car sharing

Die Jüngeren legen keinen großen Wert mehr auf Erwerb und Besitz von Autos. Sie nutzen mehr öffentliche Verkehrsmittel oder eben - car sharing. Ohne ein Auto zu besitzen, wird es so unter dem Strich besser genutzt; es steht nicht mehr fast den ganzen Tag auf irgendeinem Firmenparkplatz herum. So entfallen Erwerb und Besitz - und damit ein erheblicher Kostenfaktor. Vermutlich werden Autos irgendwann nur noch gemietet -
über intelligente car sharing -Systeme. Die Autohersteller sind gerade dabei, diese Zukunft vorzuplanen:
http://www.sueddeutsche.de/auto/autonomes-fahren-wie-autohersteller-zu-mobilitaetsdienstleistern-werden-wollen-1.2936186

http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/carsharing-fusion-bmw-und-daimler-gruenden-gemeinsam-milliarden-konzern/21123422.html

Den großen Durchbruch wird man freilich erst erwarten können, wenn aus den heutigen Automobilen Robomobile geworden sind. Anruf oder App-Aufruf genügt: das Robomobil fährt selbstständig vor die Haustür, meldet sein Eintreffen. Wir steigen ein, identifizieren uns - geben das Ziel ein und drücken auf die Starttaste. Das Robomobil fährt uns sicher ans Ziel. Selbst fahren müssen wir da nicht mehr, das kriegt das Robomobil ganz alleine hin. Na ja, zugegeben - das ist noch ein bisschen Zukunftsmusik. Aber nur noch ein bisschen...

>Nutzen statt besitzen.


Musik


Strenggenommen sind die Tage der guten alten CD gezählt, obwohl sie ja noch gar nicht so alt ist. Und sie ist immer noch relativ teuer. Als CD-Käufer hat man keinen Einfluss auf die Zusammenstellung der Titel. Manche Titel kauft man mit, ohne dass man sie tatsächlich haben will.

Dann kamen das Fraunhofer - Institut mit mp3 und Apple mit dem Programm iTunes: seither ist es möglich, einzelne Titel von einer Datenbank auf den PC herunterzuladen und eine Titelliste daraus zusammenzustellen. Wer will, kann sich daraus selbst eine CD brennen. Aber auch das ist schon wieder Schnee von gestern.
Die bessere Alternative heißt Spotify. Funktioniert genauso wie iTunes, die Titel kosten aber nichts. Man kann sie jederzeit vollständig anhören; dafür lassen sie nicht herunterladen. Wenn man sie aber jederzeit kostenlos anhören kann - wozu muss man sie dann noch speichern und/oder auf eine CD brennen - geschweige denn, eine CD kaufen? Es genügt ja, das Programm zu installieren mit dem entsprechendem Equipment; der Rest ist kostenlos.

Der Musikindustrie schienen zunächst die Felle wegzuschwimmen; inzwischen erheben sie bei Spotify und ähnlichen streaming-Diensten saftige Lizenzgebühren.
Letzte Meldung: Spotify ist an die Börse gegangen.

https://blendle.com/i/wirtschafts-woche/spotify-hort-ganz-genau-zu/bnl-wirtschaftswoche-20180329-568636ba560?sharer=eyJ2ZXJzaW9uIjoiMSIsInVpZCI6InJlaW5oYXJkdGdyYWV0eiIsIml0ZW1faWQiOiJibmwtd2lydHNjaGFmdHN3b2NoZS0yMDE4MDMyOS01Njg2MzZiYTU2MCJ9


>Nutzen statt besitzen.


Geld

Wozu braucht man Geld? Um es auszugeben für Produkte oder Dienstleistungen - oder um es zu vermehren. Viel Geld zu besitzen bedeutet daher auch, viel bewegen zu können. Aber: es genügt schon, über Geld verfügen zu können - man muss es gar nicht besitzen. Natürlich hat das seinen Preis - Zins genannt.
Wer also über einen zeitlich unbegrenzten Rahmenkredit verfügt, zahlt für dessen Nutzung (=die Verfügungs-berechtigung über eine bestimmte Geldsumme) einen bestimmten Betrag. Er kann dann das Geld nutzen, beispielsweise, um damit weiteres Geld zu verdienen, auf welche Weise auch immer. Für eine derartige Nutzung des Geldes muss man nur einen Vertrag schließen - fertig. Man muss seine Zeit nicht mehr dazu aufwenden, durch Arbeit Vermögen anzuhäufen. Dagegen ist der Aufwand, über herkömmliche Vermögensbildung durch Arbeit an eine Geldsumme zu kommen, unverhältnismäßig hoch: man muss dazu viel Zeit investieren. Genau das entfällt bei der Nutzung eines Rahmenkredits - Kreditwürdigkeit vorausgesetzt.

Ähnlich wie beim car sharing gilt auch hier:

>Nutzen statt besitzen.


Die neuartige WG
Die Idee einer WG ist so neu nicht mehr. Gemeinschaftlich kann man vieles teilen - und dadurch besser nutzen. Mancherorts sind WGs entstanden, bei denen allerlei Altersgruppen unter einem Dach wohnen. Die regen sich gegenseitig an, helfen einander - und gehen sich auch schon mal auf die Nerven. Wie im richtigen Leben. Alt und jung miteinander, und nicht mehr isoliert voneinander.

Zu den neueren WGs gehören solche, bei denen die Zimmer nach strikten Funktionen eingeteilt sind:
http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/592690/Zusammener-wohnen

Um in einer Wohngemeinschaft zu leben, muss man die Wohnung nicht besitzen. Und wenn man die Mietkosten einer großen Wohnung unter vielen Mitgliedern teilt, wird sie für jeden erschwinglich.

>Nutzen statt besitzen.


Zu diesem Thema lassen sich sicher noch eine Reihe weiterer Beispiele finden. Immobilien werden schon lange gemietet, ebenso Maschinen. Leasing sagt man heute dazu.

Vermutlich wird nutzen bald besitzen ablösen.
Inzwischen ist dieser Bereich zu einem handfesten Markt herangewachsen, auch "share economy" genannt. Das Marktvolumen allein in Deutschland wird bald die Marke von 25 Mrd. € geknackt haben.

https://www.wallstreet-online.de/nachricht/10304712-boom-share-economy-abschaffung-eigentums

http://www.progress-online.at/artikel/teilst-du-schon-oder-besitzt-du-noch
http://web.de/magazine/geld-karriere/sharing-economy-wert-teilens-30737804